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Fastenzeit — Sieben Wochen mit oder ohne?

Am Aschermittwoch ist alles vorbei

Es ist nicht mehr ganz Winter, aber auch noch kein Frühling (gelbe Krokusse wurden jedoch schon gesichtet) und es ist Aschermittwoch. Es war manchmal schon so super sonnig, dass man sich fast ein Eis kaufen möchte. Aber nach einem Spaziergang in einem Wind, der sich doch noch recht winterlich angefühlt hat, habe ich mich in den letzten Tagen eher für Schokolade und Kaffee entschieden. Kaffee habe ich heute auch am Start, aber die Schokolade fehlt.

 

Keine Schokolade mehr

Die Schokolade fehlt nicht hier im Haus, es ist noch welche da. Sie ist dunkel, mindestens 60%, bio, mit Kakao-Nibs drin. Lecker! Und von der Zartbitter mit Mandel und Orange ist auch noch ein Stück übrig. Das liegt zur Sekunde rechts neben mir und es würde noch nicht mal wer merken, wenn ich es esse … Ich müsste noch nicht mal meinen Arm ganz ausstrecken … Aber ich esse sie nicht. Schokolade fehlt ab sofort auf meinem Speiseplan. Ebenso wie der gelegentliche Schluck Baileys im Kakao oder der Rotwein am Abend. Gestrichen. Bis Ostern. Es ist nämlich Fastenzeit.

 

Nicht jeder kann fastnacht

Ich wohne noch nicht so lange in Rheinhessen. 18 Jahre ist absolut gesehen schon lange, aber ich habe länger woanders gewohnt. Dort, in der Nähe von Hildesheim in Niedersachsen, kam Fastnacht nicht vor. Tote Luftschlangen beim Bäcker überm Tresen und Eierlaufen mit Holzei (laaaangweilig!!!) irgendwann um Rosenmontag rum zum Kinderfasching bei Klages auf’m Saal. Das war’s, das hat mir als Kind Spaß gemacht, ist aber ein Witz gegen das, was die hier können. Klages hat inzwischen geschlossen, den Saal gibt’s nicht mehr, und was da oben der Kinderkarneval macht — keine Ahnung.

 

die Fassenachter können auch fasten

Aber hier tobt die Fassenacht! Hier wird gefeiert ab Altweiberdonnerstag, hier im Ort gibt es täglich (!) Partys und in Mainz braucht man in diesen Tagen praktisch nirgendwo anzurufen. Da hängt seit letzten Donnerstag alles tot über’m Zaun und krabbelt am Aschermittwoch langsam wieder aus den Löchern. Es ist schulfrei, es wird gefeiert, es gibt Berliner in 5, 6 Sorten bei jedem Bäcker. Alle ernähren sich von „Weck, Worscht und Woi“ (Brot, Fleischwurst und Wein), für Kinder gibt’s Punsch und alle Mann stopfen sich voll mit „Kreppeln“. Man sieht überall verkleidete Menschen auf der Straße, beim Einkaufen, im Bus, nur so … und durch die Straßen jedes Ortes, der was auf sich hält, zieht ein Fastnachtsumzug. Dort fliegt alles von den Wagen, was sich mit vollen Händen werfen lässt und die Kinder kommen mit Taschen prall gefüllt mit Süßigkeiten und nutzlosem Unsinn sehr glücklich nach Hause.

 

Und dann plötzlich Schluss mit lustig

Und auf einmal, am Aschermittwoch, ist’s rum. Fastenzeit. Soweit nichts Besonderes. Das ist ja anderswo auch. In jedem Aschermittwochsgottesdienst bei den Katholiken geht es darum, in den evangelischen Kirchen in anderer Form auch. Das ist das eine. Aber hier, hier merkt man es den einzelnen Menschen an. Hier fastet jetzt nämlich ziemlich jede und jeder. Kein Alkohol, kein Zucker, kein Facebook, kein Kaffee, keine Zigaretten, kein Fleisch, nicht mehr so hetzen, nicht mehr so motzen, Konsumverzicht, Autoverzicht … alles Mögliche ist dabei. Bis Ostern haben wirklich viele Menschen hier irgend ein Fastenprojekt am Laufen. Das habe ich da oben im Norden nie erlebt. Ich kenne hier sogar Kinder, die ihre Ausbeute der Fastnachtsumzüge bis Ostern bunkern oder komplett spenden. Hut ab! Selbst in Lehrerzimmern stehen momentan Äpfel und Orangen auf dem Tisch statt Schoko- und Gummizeugs. Das ist das andere, das ist real, das betrifft mich!

 

Aber warum fastet man?

Wieso tun die das? Wieso tue ICH das? Wieso fastet man überhaupt? Was hat man davon? Ist das nicht furchtbar anstrengend? Abnehmen, oder wie? Zu den vielen ganz unmittelbar (und auch mittelbar) positiven Auswirkungen vom Fasten auf alle möglichen Bereiche der eigenen Existenz kann man Großartiges beim Yogadude nachlesen. Ich ergänze das hier durch kleine Side-Stories aus dem Bereich der Pädagogik und ggf. durch christliche Ideen, wie zum Beispiel diesem lesenswerten Artikel aus der Fastenaktion 7 Wochen ohne 2019, der ebenfalls genau diese Frage beantwortet. Vielfach ist das ja eine religiöse Geschichte mit dem Fasten, muss es aber nicht sein. Und wer verzichten kann und das eine Ü-Ei nicht gleich isst, ist schulreif und bekommt ein zweites. Oder wie war das?

 

Psychologisch gesehen sinnvoll

Es gibt tatsächlich diesen Zusammenhang, dass jemand, der eine Belohnung aufschieben kann, zivilisatorisch gesehen sehr weit fortgeschritten ist. Das ganze ist ein psychologisch recht gut untersuchtes Phänomen. Es nennt sich schlicht „Belohnungsaufschub“. Diese Fähigkeit bedeutet, dass die Strecke zwischen einem auftauchenden Bedürfnis und der darauf folgenden Handlung recht lang ist, man nicht sofort das macht, was man gerne würde, und der sich so handelnde Mensch über reine „Triebbefriedigung“ hinaus entwickelt hat. Bravo! Gut gemacht! Weiter so!

 

Auch für die Entwicklung von Kindern wichtig

Der sogenannte Marshmallow-Test zeigt diese Fähigkeit bei Vorschulkindern: Wer den Marshmallow nicht isst, weil klar ist, dass dann später ein zweiter kommt, hat’s verstanden. Da agieren gelegentlich Kinder in einem Bereich, den manche Erwachsene noch nicht erreicht haben, nämlich auftauchende Emotionen willentlich regulieren zu können und nicht (mehr) alles SOFORT zu wollen… So handelnde Kinder hatten im Durchschnitt später bessere Schulnoten, waren Stress gegenüber weniger anfällig und auch in der Pubertät resistenter gegenüber schwankende Stimmungen und Leistungen. Aber kleine Kinder fasten ja nicht absichtlich. Sie verbinden damit meist eine Belohnung und eine Verbesserung. Hinterher gibt’s dann mehr! Stimmt ja bei denen auch meistens. Und bei Erwachsenen?

 

Man fastet öfter als man denkt

Erwachsene fasten absichtlich. Erwachsene fasten eigentlich auch recht oft. Sie tun das, indem sie sich z.B. die Schuhe doch nicht kaufen (echt, macht das wer?), den leckeren Sekt zu einer besonderen Gelegenheit trinken oder sich den Urlaub mal sparen, weil es nicht wirklich geht. Dafür aber nächstes Jahr voll schön und dafür wird dann auch gespart. So gesehen ist Belohnungsaufschub durchaus etwas Übliches, auch wenn die Werbung das gerne anders hätte. Und zusätzlich fasten manche vor Ostern noch mal so richtig, 40 Tage lang, allein, in der Gruppe, in der Familie, in der Gemeinde, mit individuellem Ziel oder gemeinsamem Motto. Für viele ist dies sogar eine Zeit, in der sie tatsächlich ein paar Tage oder eine Woche mal gar nichts essen. Ayurvedisch* gesehen ist das nur begrenzt sinnvoll. Am Ende geht’s den meisten damit gut und keiner kasteit sich bis zur Übellaunigkeit und zum Verlust an Lebensfreude!

Wenn du an jeder Menge kostenlosem Input und Austausch zu ayurvedischen Inhalten interessiert bist, komm gerne unverbindlich in meine geschlossene Facebook-Gruppe, die Sukhada lehrerlounge. Die Inhalte richten sich häufig spezifisch an Lehrkräfte, die zugrundeliegenden Prinzipien des Ayurveda sind aber universell gültig und für alle ohne Zusatzkenntnisse praktisch umsetzbar.

 

und man belohnt sich doch

Jetzt kommt der Clou: Die Belohnung ist das Ziel. Sich etwas für später aufheben, was man eigentlich sofort haben könnte und sich dabei etwas Gutes tun. Das wollen wir. Etwas loswerden, sich von einem Bedürfnis langsam oder schnell trennen, vielleicht sogar dauerhaft einem Laster entsagen. Entgiften — körperlich, geistig, seelisch. Dabei den Kopf entlasten und sich darin Raum geben für etwas Neues, weil man sich die Gedanken (an Schokolade) einfach mal spart (ich denke trotzdem dran, aber es hat ja gerade erst angefangen). Man trainiert damit nicht nur die „Bedürfnisaufschubsmuskulatur“ des Geistes. Ganz weit vorne wird sich auch die Frustrationstoleranz melden und einem klar machen, ob die Idee des Kopfes im Körper und im Gehirn bereits angemessen repräsentiert ist oder ob sich da noch gewisse Herausforderungen zeigen … Und am Ende loben wir uns selbst für’s Durchhalten.

 

Der mensch lebt nicht vom Brot allein

Ein Freund aus Amerika hat einmal zum Thema Fastenzeit auf facebook gepostet, dass er jedes Mal lernt, dass der Mensch nicht vom Brot allein lebe. Das bezieht sich nicht auf seinen Verzicht auf Kohlehydrate bis Ostern. Es bezieht sich darauf, dass jedes Mal, wenn wir uns von irgendetwas befreien, Platz für etwas anderes geschaffen wird. Wir bekommen jedes Mal die Möglichkeit, den Geist von Dingen zurückzuziehen, weniger festzuhalten, durchlässiger zu werden, Emotionen vorbeiziehen zu lassen. Es entstehen Gelegenheiten, uns spirituell vollzufressen, nicht mit Schokolade (wobei das aber schon auch was Schönes ist …). Wir schaffen es, uns zu entlasten von Unnötigem und den so entstehenden Raum mit Gutem zu füllen.

 

I like fastenzeit

Je mehr ich darüber lese und schreibe, desto mehr bin ich Fan von Fasten. Ich fand das gestern noch maximal mittelgut, ab heute auf Schokolade zu verzichten, habe ich vielleicht schon erwähnt. Aber je mehr ich mich hier so genussvoll warmschreibe, desto mehr freue ich mich, meiner zivilisatorischen und spirituellen Fortentwicklung mal  richtig Raum zu geben. Ostern ist das größte Fest der Christen und es ist so groß, dass man es kaum verstehen kann. Jemand hat den Tod besiegt? Der Typ ist aus der Höhle gekrochen (las ich kürzlich irgendwo)? Erst tot, dann lebendig? Und bis dahin keine Schokolade? Sehr seltsam. Ich mach’s trotzdem.

 

ist das oster-wunder denn so abgehoben?

Oder ist es vielleicht gar nicht so seltam? Verstehen wir es einfach in Bezug auf uns selbst (anders kann ich es nämlich nicht verstehen): Wir sind vollgestopft mit Dingen, Gedanken, Emotionen. All dies, was uns herunterzieht, unsere Lebensfreude abtötet, uns schwer und unbeweglich in unserer eigenen Höhle schmoren lässt, nehmen wir mit in die Fastenzeit. Und dann geht’s los: Wir entlasten uns, werfen ab, lassen im Verborgenen all das von uns gehen, was wir nicht mehr brauchen. Atmen aus, misten aus, trennen uns, trennen ab, entgiften. Und dann kriechen wir aus der Höhle. Vielleicht sind wir 3 Kilo leichter, vielleicht auch nur an Erfahrung reicher, vielleicht sind wir uns selbst näher gekommen, vielleicht fühlen wir uns wie neu geboren (passt eher zu Weihnachten, aber die Adventszeit ist genau genommen die zweite Fastenzeit des Jahres). Und manchmal fühlen wir uns, als wären wir von den Toten auferstanden.

 

vorfreude ist die schönste freude

DARUM fastet man. Es ist gut im psychologischen Sinn, es ist gut im pädagogischen Sinn. Als Yogi kennt man sich mit Nicht-Festhalten eh (ein wenig) aus, und jede Religion hat ihre Fastenzeit, in der die Abkehr von den eigenen Bedürfnissen hin zu spirituellem Wachstum im Vordergrund steht. Man kann das eigentlich jederzeit machen, aber im Frühjahr passt es so gut. Da kann es der Körper wirklich gebrauchen — und man ist in guter Gesellschaft, wenn man dauernd „Nein, danke!“ sagt. Und dann zu Ostern gibt’s wieder lecker Schoki. Ich freue mich schon sehr darauf, aber vorher faste ich. Weil ich weiß, warum, FEHLT die Schokolade ja auch nicht, sie ist ja absichtlich nicht da. Und jetzt freue ich mich irgendwie gleich noch mehr!

 

UND YOGA?

Yoga kann diese Intention des Geistes wunderbar unterstützen. Wenn du in dieser Zeit, in der sich viel Schwere (im Ayurveda* sagen wir dazu Kapha) in deinem Körper lösen will, deine Yogapraxis optimal für dich nutzen möchtest, beherzige folgende Ideen, praktiziere dabei immer verantwrtungsvoll und liebevoll mit dir selbst — und denke daran, dich am Schluss dafür bewusst zu belohnen — zum Beispiel mit einer doppelten Portion Shavasana.

Übe fließend und kraftvoll.
Nutze intensiv deine Armkraft.
Unterstütze deine Praxis durch Pranayama, z.B. Kapalabhati zu Beginn deiner Praxis oder auch mal in Phalakasana.
Öffne bewusst deine Seiten, deinen Herzraum und deine Lungen.
Gehe in tiefe Rückbeugen.
Binde Twists in Flows oder als längere Haltungen ein.
Achte darauf, dass du beim Yoga ordentlich ins Schwitzen kommst!
Höre schwungvolle Musik dazu!
Und praktiziere vielleicht auch mal an der frischen Luft…

Ich wünsche dir viel Fasten- und Yoga-Freude!

*Wenn du bei deinem Fasten-Vorhaben individuelle Unterstützung brauchst, Fragen zum gesundheitlichen Nutzen hast oder deine Konstitution aktuell oder langfristig mit genau auf dich abgestimmter Yogapraxis sowie durch Ayurveda für Körper, Geist und Seele optimieren möchtest, nimm gerne Kontakt mit mir auf.
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